Wieso denn so überrascht?

Herbert Behrens (MdB)

Zum möglichen Verlust des Beförderungsauftrags für die SVHI Stadtverkehr Hildesheim GmbH und deren eigenwirtschaftlichen Antrag an die Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) erklärt Herbert Behrens, Obmann der LINKEN im Ausschuss für Verkehr und Digitale Infrastruktur und Landesvorsitzender seiner Partei in Niedersachsen:

Jetzt rächen sich politisch falsche Weichenstellungen der Vergangenheit. Wer eine falsche Steuerpolitik zugunsten der Vermögenden und zu Lasten der Kommunen betreibt, bekommt Probleme bei der Finanzierung eines attraktiven Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV). Wer die Ökonomisierung aller Lebensbereiche zum Maßstab erhebt, der muss sich nicht wundern, wenn das zu Lasten von Beschäftigten und Kunden geht. Das ist im Nahverkehr nicht anders als bei Krankenhäusern und in der Bildung.

DIE LINKE steht für den Vorrang des Öffentlichen vor dem profitgesteuerten Markt. Öffentliche Daseinsvorsorge ­- und genau dazu gehört auch ein funktionierender Nahverkehr - gehört in öffentliche Hand. Nur so lassen sich demokratisch legitimierte Beschlüsse im Interesse auch der Hildesheimer Bürgerinnen und Bürger fassen, nur so ist öffentliche Kontrolle möglich. Private Anbieter waren schon immer scharf drauf, den ÖPNV in ihre Finger zu kriegen. Die Politik hat es ihnen ermöglicht. Warnungen der Fachleute aus den Betrieben und den Gewerkschaften wurden in den Wind geschlagen. "Der öffentliche Nahverkehr, in den städtischen Ballungszentren ebenso wie im ländlichen Raum, muss von uns allen vollumfänglich als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge verstanden werden", so heißt es im einem Beschluss des DGB-Bundeskongresses im Jahr 2010, als die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes bevorstand.

Aus welchem Grund sind die Hildesheimer BundestagskollegInnen von CDU, SPD und Bündnis 90/Grüne denn heute so erstaunt, dass ein eigenwirtschaftlich geführtes Unternehmen wie die Bahn-Tochter "DB Regio Bus" nach dem bisher in öffentlicher Hand befindlichen Nahverkehrsunternehmen SVHI greift? Es waren doch gerade diese drei Parteien plus FDP, die aus dem Staatsunternehmen Bundesbahn die Deutsche Bahn AG gemacht haben, die nach den Profitmaßstäben einer privaten Aktiengesellschaft arbeiten muss. Und waren es nicht auch die genannten Parteien, die gemeinsam im September 2012 das Personenbeförderungsgesetz auf den Weg gebracht haben, das ausdrücklich die vorrangige Vergabe des Nahverkehrs an eigenwirtschaftlich anbietende Unternehmen bestätigten? Und sich jetzt empören, wenn die selbst gemachten Entscheidungen in der eigenen Stadt Praxis werden? Wie dreist ist das denn?

Es war am 27. September 2012, gegen 23 Uhr, als vier Fraktionen des Deutschen Bundestages der Änderung des Personenbeförderungsgesetzes ihre Zustimmung gaben. CDU/CSU mit ihrem damaligen Koalitionspartner FDP sowie die Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschlossen einen gemeinsamen Gesetzentwurf, der genau das vorsieht, was jetzt auch in Hildesheim greift: Privat vor Staat, eigenwirtschaftlich vor gemeinwirtschaftlich. Und nicht nur das. Auch der Fernlinienbusverkehr wurde gleich mitbeschlossen, weil das ja eine so ökologische Alternative zum Schienenverkehr ist. "Ich glaube, wir können uns alle zu dem Verfahren und dem Ergebnis gratulieren", sagte der damalige Ausschussvorsitzende und heutige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, in der Debatte. Nachzulesen ist das Ganze im Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/17/17195.pdf#P.23505

Ich fordere die politisch Verantwortlichen der Stadt Hildesheim auf, alles zu tun, um den öffentlichen Nahverkehr in öffentlicher Hand zu behalten. Auf keinen Fall darf das über den Umweg geschehen, dass man den eigenen Nahverkehr dadurch eigenwirtschaftlich konkurrenzfähig macht, indem man auf einen Lohnsenkungs-Tarifvertrag oder ein eigenes Dumping-Unternehmen setzt. Öffentliche Beschäftigung gibt es nur zu ordentlichen öffentlichen Tarifen.

DIE LINKE im Bundestag wird sich des Personenbeförderungsgesetzes annehmen. Im Jahr 2012 wurden unsere Forderungen von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Vielleicht sind sie ja inzwischen klüger geworden und unterstützen Alternativen, mit denen die EU-Verordnung (EG) 1370/207 im Interesse der Kundinnen und Kunden umgesetzt werden kann.