Solidarität mit Kobane/Rojava - Bericht zu den Demonstrationen des Vereins "Kurdischer Treffpunkt Hildesheim"

Der Nahe Osten gleicht weiterhin einem Pulverfass. Seit Mitte September wird die Region Kobane in Nordsyrien wieder Zielscheibe der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Allein bis zum 18.09.14 mussten Aufgrund der Angriffe 21 Dörfer evakuiert werden, tausende Menschen flüchteten.
Kobane ist eines von drei Kantonen in Rojava (Westkurdirstan/Nordsyrien), wo im November 2013 die Autonomie mit einer demokratischen Verfassung unter Beteiligung aller religiösen und ethnischen Gruppen ausgerufen wurde. Mit dem Aufbau der basisdemokratischen Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava beteht eine demokratische Alternative für den gesamten Mittleren Osten, jenseits von nationalistischen, religiös-fundamentalistischen, patriarchalischen und kapitalistischen Vorstellungen. Zum Schutz dieser demokratischen Errungenschaften gründeten die Selbstverteidigungskräfte der Kantone in Rojava mit mehreren zur freien syrischen Armee gehörenden Kampfverbänden das Bündnis "Burkan El Firat" um gemeinsam in der Region Kobane gegen den IS vorzugehen. Dies ist den reaktionären menschenverachtenden Terrorgruppen ein Dorn im Auge. Die Unterstützung dieser Terrorgruppen geschieht vor den Augen der Weltöffentlichkeit u.a. durch die Versorgung mit Waffen und Munition.
Die internationale Öffentlichkeit muss ihr Schweigen brechen. Jegliche Lieferung von Waffen und Munition muss unterbunden werden.

Um auf die Bedrohung Kobanes durch die Terrorganisation IS aufmerksam zu machen, führten unsere Genossinnen und Genossen vom Verein "Kurdischer Treffpunkt Hildesheim e.V." seit nunmehr 2 Wochen jeden Mittwoch um 17 Uhr Demonstrationen in Hildesheim durch, an denen wir uns beteiligten. Dazu verlas das Vorstandsmitglied Rita Krüger am letzten Mittwoch bei der anschließenden Kundgebung auf dem Paul von Hindenburg- Platz folgende Erklärung von Jan van Aken(MdB).

"Vor einigen Tagen war Jan Van Aken Abgeordneter im Bundestag der Partei DIE LINKE in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak anwesend, als die deutschen Waffenlieferungen kurdischen Kämpfern übergeben wurden.

Hier in Deutschland wurde uns immer gesagt,  dass jetzt eine komplette Einheit der irakisch-kurdischen Peshmerga mit den deutschen Waffen ausgerüstet wird, sagt Jan van Aken. Es solle keine Lagerhaltung geben, sondern für den konkreten Bedarf geliefert werden. In Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, sah das dann ganz anders aus: Vom Flughafen wurde das Material direkt in ein Hauptlager der Peshmerga gebracht, die Bundeswehr vor Ort wußte nicht einmal, wo das ist. Ihr Auftrag ende am Flughafen, sagten sie mir. Auch andere Gespräche in Erbil, mit politisch Verantwortlichen und mit Peshmerga-Kommandeuren an der Front machten deutlich: Die international gelieferten Waffen werden alle zentral gelagert und dann bei Bedarf irgendwohin im Nordirak geliefert – kein Mensch weiß genau, wohin. 

Offensichtlich ist die Türkei aktuell Teil des Problems, nicht Teil der Lösung, denn sie macht eine ganz schmutzige Politik gegen die KurdInnen in Nordsyrien. Immer noch wird berichtet, dass Dschihadisten aus der Türkei nach Syrien einsickern, um sich dort der IS anzuschließen. Es gibt eine ganz enge Kooperation zwischen Ankara und der erzkonservativen Regierung in Erbil – politisch, wirtschaftlich aber auch militärisch. Jan van Aken selbst hat an der Front vor Mosul türkische Munitionskisten gesehen. Es sind die KurdInnen in Nordsyrien, genannt 'Rojava' oder Westkurdistan, die der Türkei mit ihrer Selbstverwaltung ein Dorn im Auge sind. Deshalb hat Ankara ja lange die Islamisten in Syrien unterstützt, gegen Assad, aber eben genauso gegen die KurdInnen dort; deshalb gibt es bis heute eine strikte Grenzblockade von der Türkei gegenüber den syrisch-kurdischen Gebieten, aber nicht gegenüber den von IS kontrollierten Gebieten.

Die Allianzen dieses Konflikts in Syrien und Irak sind einigermaßen überraschend. Jetzt scheinen nicht mehr die USA gegen die »bösen Islamisten« zu bomben, sondern quasi Seite an Seite mit ihren arabischen »Partnern« – wie die Türkei Länder, deren Regierungen und Eliten als Unterstützer des »IS«-Terrors gelten. Wie absurd.

Die Türkei hatte in Syrien immer zwei Ziele, das hat sie so auch öffentlich erklärt: Den Sturz von Assad, und die Verhinderung einer kurdischen Selbstverwaltung. Die Golfstaaten wollten vor allem Iran schwächen und haben deshalb die Islamisten gegen Assad, dem Verbündeten Teherans, unterstützt. Heute ist Assad stärker als jemals seit Ausbruch der Kämpfe in Syrien, und IS wird jetzt auch in den Anrainerstaaten als Bedrohung gesehen,die Kämpfe sind blutiger als je zuvor. Das alles zeigt doch vor allem eines: Wenn Staaten von außen in einen Bürgerkrieg intervenieren, dann verschärfen sie den Konflikt nur.

Da gibt es kein Zaubermittel, das wird lange dauern und es werden noch viele Menschen sterben, so brutal, wie diese Terrorgruppe vorgeht. Ich kann verstehen und finde es richtig, dass die Menschen vor Ort, in Kobane und anderswo, sich jetzt mit der Waffe in der Hand gegen IS verteidigen. Aber es ist und bleibt falsch, von außen militärisch in diesen Krieg einzugreifen, denn das wird die Situation nur weiter verschärfen. Drei Dinge sind jetzt ganz dringend notwendig: Die - direkte wie indirekte - Unterstützung von IS muss beendet werden, dafür müssen die Golfstaaten die Geldströme an IS stoppen, und vor allem muss die Türkei endlich die Grenzen für IS dichtmachen: für Kämpfer, Waffen aber auch für das Öl, dass IS über die Türkei zu verkaufen scheint. Zweitens muss die Türkei das Embargo gegen Rojava stoppen. Insbesondere Deutschland als enger politischer, wirtschaftlicher wie militärischer Partner der Türkei muss hier massiv Druck ausüben, damit Ankara aufhört, die syrischen KurdInnen mit der Grenzblockade zu strangulieren. Und drittens braucht es eine echte Einheitsregierung in Bagdad, die Schluss macht mit der Ausgrenzung der Sunniten, denn dann würde die Unterstützung von IS in der sunnitisch-irakischen Bevölkerung schnell sinken. 

Und was sollte Deutschland dazu beitragen? 

Vor allem eines: Endlich mal Klartext mit der türkischen Regierung reden – und die eigene Blockade gegenüber Rojava aufheben. Seit Monaten verlangen wir vom Auswärtigen Amt, humanitäre Hilfe nach Rojava zu liefern, aber keine Chance, das ist politisch nicht gewollt. Im Auswärtigen Amt lässt man offenbar lieber die Kurden in Rojava hungern als sich mal mit Erdogan anzulegen. Eine absurde Politik: Die syrischen KurdInnen bekommen nicht einmal Medikamente aus Berlin, die irakischen werden jetzt sogar mit Waffen beliefert.

Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges hat sich die NATO von einem Verteidigungsbündnis zu einem Kriegsbündnis gewandelt. Es ist u.a. gegen Jugoslawien, in Afghanistan, gegen Libyen und vor der somalischen Küste eingesetzt worden. Um noch mehr und besser Militäreinsätze führen zu können, haben sie die NATO-Staaten das Ziel gesetzt, spätestens in zehn Jahren mindestens 2 % ihres Bruttoinlandproduktes für Milität und Rüstung auszugeben. Das zeigt: Die NATO bedeutet mehr Geld für Militär und Rüstung, mehr Krieg und mehr Konfrontation mit Russland. Sie ist kein Sicherheits- sondern ein Unsicherheitsbündnis.

Neu entfacht wurde eine öffentliche Debatte über den vermeintlichen desolaten Zustand der Ausstattung der Bundeswehr. Es geht darum, am Ende einen höheren Wehretat durchzusetzen. Diese Forderungen nach mehr Geld zum Töten müssen mit Nachdruck verhindert werden.
Die Nato muss aufgelöst werden. Kein Geld zum Töten an die Bundeswehr.

Danke"

Im Anschluss an die Kundgebung nahmen wir noch an einem Planungstreffen im Kurdischen Kulturverein teil und besprachen weitere gemeinsame Veranstaltungen. Es werden noch 2 weitere Demonstrationen mit anschließenden Kundgebungen folgen. Diese finden am 08.10. und am 15.10. statt und beginnen jeweils um 17 Uhr am Hauptbahnhof und werden am Paul von Hindenburg- Platz enden.

Außerdem wird unsere Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig, die die Region Rojava erst vor kurzem bereist hat, am 10.10.2014 im Kurdischen Kulturverein zu Gast sein, um von der aktuellen Lage in Rojava zu berichten.